Aktuell in der ISR

Verrechnungspreise für risikoarme Vertriebsfunktionen – Eine erste Analyse des OECD-Abschlussberichts v. 19.2.2024 zum vereinfachten und gestrafften Ansatz des Amount B (Bärsch/Schmidt, ISR 2024, 161)

Das OECD/G20 Inclusive Framework on BEPS hat den Abschlussbericht zum vereinfachten und gestrafften Ansatz für die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes auf bestimmte risikoarme Marketing- und Vertriebstätigkeiten (sog. Amount B) veröffentlicht, welcher der nächsten Fassung der OECD-Verrechnungspreisleitlinien beigefügt werden wird. Die Autoren stellen die Einzelheiten des Ansatzes dar, beleuchten die daraus folgenden Implikationen für international tätige Konzerne und unterziehen Amount B einer kritischen Würdigung.

I. Hintergrund

II. Aktuelle Herausforderungen bei der Besteuerung von Vertriebsfunktionen und Zielsetzung von Amount B

III. Abschlussbericht der OECD v. 19.2.2024 zu Amount B der Säule 1

1. Basistätigkeiten in den Bereichen Marketing und Vertrieb

2. Weitere Ausschlüsse vom Anwendungsbereich des Amount B

3. Ermittlung der Verrechnungspreise nach dem vereinfachten und gestrafften Ansatz

a) Wahl der geeigneten Verrechnungspreismethode (TNMM vs. interner Preisvergleich)

b) Ermittlung von Verrechnungspreisen nach TNMM mit festen Nettogewinnmargen (dreistufiger Prozess)

c) Verprobung fester Nettogewinnmargen anhand der operativen Aufwendungen (vierstufiger Folge-Prozess)

d) Anpassung der Nettogewinnmarge nach oben (sog. Datenverfügbarkeitsmechanismus)

e) Kritische Würdigung des Preisbildungsprozesses

4. Verrechnungspreisdokumentation

5. Innerstaatliche Umsetzung und Beseitigung von Doppelbesteuerung

IV. Implikationen für international tätige Konzerne

V. Thesenförmige Zusammenfassung


I. Hintergrund

Die globale Expansion multinationaler Unternehmen, die zunehmende Komplexität grenzüberschreitender Lieferketten und die anhaltende Divergenz nationaler Unternehmenssteuersätze haben das Thema Verrechnungspreise – insb. die Vergütungen von Lieferungen an Vertriebsgesellschaften – stärker in den Fokus der internationalen Finanzbehörden gerückt. Im Vertriebsbereich ist seit Jahren ein Trend zur Umstellung auf risikoarme Vertriebsgesellschaften zu beobachten. Diese Entwicklung ist auch auf steuerliche Unsicherheiten zurückzuführen, in deren Folge die Verrechnungspreissysteme stärker an die faktische Verteilung von Vertriebsaufgaben angeglichen wurden.

Um das internationale Steuerrecht an die steuerlichen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts im Allgemeinen anzupassen, haben sich die Mitgliedsstaaten des OECD/G20 Inclusive Framework on BEPS (nachfolgend „Inclusive Framework“) im Jahr 2021 auf ein Zwei-Säulen-Modell geeinigt. Dabei wird eine partielle Neuverteilung der Besteuerungsrechte angestrebt, indem Säule 1 sowohl Änderungen der steuerlichen Anknüpfungspunkte als auch neue Regeln zur Gewinnallokation vorsieht. Mit Säule 2 soll der internationale Steuerwettbewerb durch eine globale Mindestbesteuerung begrenzt werden. Die Säule 1 zielt zunächst auf relativ wenige, aber besonders große und hochprofitable Konzerne ab. Sie enthält zum einen eine formelhafte Gewinnaufteilung (= „Amount A“), die das Besteuerungsrecht auf einen Teil der Unternehmensgewinne den Marktstaaten zuweist; konkret sollen dem Anwendungsbereich von Amount A diejenigen Konzerne unterliegen, deren globaler Jahresumsatz größer als 20 Mrd. € (bzw. später dann 10 Mrd. €) und deren Profitabilität größer als 10 % ist. Zum anderen sieht die Säule 1 einen „vereinfachten und gestrafften Ansatz“ (= auch „Amount B“) für die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes auf bestimmte „Basistätigkeiten in den Bereichen Marketing und Vertrieb“ vor, der zu einer höheren steuerlichen Rechtssicherheit beitragen soll. In dessen Anwendungsbereich fallen – anders als unter Amount A – jedwede international tätigen Konzerne unabhängig von ihrer Größe. Der OECD-Abschlussbericht v. 19.2.2024 zum vereinfachten und gestrafften Ansatz und dessen Implikationen für die Praxis sind Gegenstand dieses Beitrags.

Der vorliegende Beitrag zeigt zunächst die aktuellen Herausforderungen bei der Ermittlung fremdüblicher Verrechnungspreise für Vertriebsfunktionen und die Ziele des vereinfachten und gestrafften Ansatzes der OECD auf (II.), untersucht dessen Anwendungsbereich (III. 1. und III. 2.) und die Ermittlung von Verrechnungspreisen nach dem vereinfachten und gestrafften Ansatz (III. 3.) sowie stellt die daraus resultierenden Dokumentationsanforderungen (III. 4.) und Erfordernisse nationaler Implementierungen (III. 5.) dar. Schließlich werden die Implikationen für international tätige Konzerne gewürdigt (IV.). Der Beitrag endet mit einer thesenförmigen Zusammenfassung (V.).

II. Aktuelle Herausforderungen bei der Besteuerung von Vertriebsfunktionen und Zielsetzung von Amount B

Um Einblicke in die aktuellen steuerlichen Herausforderungen bei der Konkretisierung des Fremdvergleichsgrundsatzes zu erhalten, wurden Unternehmen im Rahmen der Transferpreisstudie von Horváth & Partners und Flick Gocke Schaumburg zu der Ausgestaltung ihrer Verrechnungspreissysteme im Vertriebsbereich und ihren Erfahrungen im Zusammenhang mit der steuerlichen Anerkennung befragt. Zu beobachten ist seit Jahren eine kontinuierliche (...)
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 02.05.2024 14:59
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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